PFAS als Ursache für gesundheitliche Auswirkungen?

Labor einer Forschungsstelle für Komplexchemie.
Labor einer Forschungsstelle für Komplexchemie
[Foto: Wittig; Hans-Günter Quaschinsky, Quelle: Bundesarchiv/ Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de]
Robert Züblin – 06.11.2019, 14:24 Uhr

Einer hochrangigen Toxikologin, die das US-amerikanische Toxikologie-Programm geleitet hat, soll seitens ihres staatlichen Arbeitgebers ein Maulkorb erteilt worden sein, wenn es um die Frage gegangen sei, ob die Chemikalien der PFAS-Gruppe eine „Ursache“ für gesundheitliche Auswirkungen sind.

PFOA-Antihaftbeschichtungen von Pfannen

Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) kommen in der Natur ursprünglich nicht vor. Sie werden von der Industrie hergestellt. Insgesamt gibt es bei der Stoffgruppe der PFAS mindestens 4000 unterschiedliche Verbindungen, wie das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erklärt.

„Die verschiedenen PFAS unterscheiden sich in der Länge ihrer Kohlenstoffketten und den im Molekül vorhandenen funktionellen Gruppen. Die langkettigen Verbindungen Perfluoroktansäure (PFOA) und Perfluoroktansulfonsäure (PFOS) sind am besten untersucht. […] Mittlerweile verwendet die Industrie als Alternative zu PFOS und PFOA auch andere Verbindungen. Hierzu gehören PFAS mit kürzeren perfluorierten Kohlenstoffketten.“

Restgehalte von PFOA, die unter anderem als Hilfsstoff bei der Herstellung von bestimmten Produkten verwendet wird, finde man zum Beispiel in bestimmten Membranen atmungsaktiver Bekleidung oder in der Antihaftbeschichtung von Pfannen und Töpfen mit Polytetrafluorethylen (PTFE).

Zur Frage, ob aus PTFE-beschichtetem Geschirr Chemikalien freigesetzt werden, sagt das BfR:

„Mit modernsten und sehr empfindlichen Analysenmethoden ließ sich bei einigem Koch- und Bratgeschirr nachweisen, dass bei der Erwärmung und insbesondere beim Überhitzen fluorierte Chemikalien in sehr geringen Mengen aus der Beschichtung freigesetzt werden können. […] Aus den auswertbaren Übergängen solcher Stoffe ist aufgrund der geringen Mengen bei bestimmungsgemäßem Gebrauch des Geschirrs keine gesundheitliche Beeinträchtigung von Verbraucherinnen und Verbrauchern zu erwarten.“

In Löschschaum wurde teilweise PFOA aber auch PFOS eingesetzt. PFOS sei ferner unter anderem zur Schmutz-, Fett- und Wasserabweisung bei Pizzakartons, Backpapier, Teppichen und Polsterungen verwendet worden, würde mittlerweile aber nur noch in Spezialanwendungen etwa in der Raumfahrt zum Einsatz kommen, wie das BfR auf seiner Website mitteilt.

PFAS würden in erster Linie über Lebensmittel und das Trinkwasser vom Menschen aufgenommen werden. Eine Aufnahme sei aber auch über die Außen- und Innenraumluft möglich, den Hausstaub oder den Kontakt mit PFAS-haltigen Produkten.

PFAS: Ursache mit Gesundheitsfolgen?

Linda Birnbaum, bis vor kurzem Leiterin des US-amerikanischen Nationalen Instituts für Umweltgesundheitswissenschaften (National Institute of Environmental Health Sciences), das zu den Nationalen Gesundheitsinstituten (National Institutes of Health, NIH) und damit zum US-Gesundheitsministerium gehört, hat sich nach dem Ende ihrer Amtszeit kritisch zu den PFAS geäußert.

Gegenüber der Nachrichtenseite „The Intercept“ sagt sie in Bezug auf die Frage, ob sie während ihrer Dienstzeit am National Institutes of Health (NIH) das Wort „Ursache“ verwenden durfte, wenn sie sich auf die gesundheitlichen Auswirkungen von PFAS oder anderer Chemikalien bezog:

„Mir wurde verboten, es zu tun […] Ich musste die ganze Zeit ‚Zusammenhang‘ benutzen. Wenn ich über menschliche Daten oder Auswirkungen auf Menschen sprach, musste ich immer sagen, dass es einen Zusammenhang mit einer Wäscheliste von Effekten gibt.“

Ihre Argumentation, in Bezug auf PFAS beziehungsweise bestimmte PFAS von einer Ursache mit gesundheitlichen Auswirkungen zu sprechen, lautet wie folgt:

„Meiner Meinung nach verursachen PFAS gesundheitliche Auswirkungen, weil es die gleiche Art von Effekten gibt, von denen in mehreren Studien bei mehreren Populationen berichtet wurde […]. Es gibt Längsschnittstudien, die die gleichen Effekte in mehreren Populationen zeigen, die von mehreren Forschern durchgeführt wurden, und es gibt Tiermodelle, die die gleichen Auswirkungen zeigen“, sagt Birnbaum gegenüber „The Intercept“.

Im Übrigen hätte Birnbaum auf Studien verwiesen, mit denen der Mechanismus verstanden werden könne, wie PFAS Schaden beim Menschen verursachen könnten.

„Das ist ein ziemlich guter Beweis dafür, dass PFAS oder bestimmte PFAS gesundheitliche Auswirkungen auf den Menschen haben können. Es ist nicht für jeden Effekt so stark, aber es gibt eine ganze Reihe von Effekten, bei denen sie stark genug sind, um ‚verursacht‘ zu sagen“, sagt Birnbaum. Dabei habe sie insbesondere darauf hingewiesen, dass es eine Verbindung zwischen den Chemikalien und gesundheitlichen Auswirkungen in Bezug auf die Immunantwort, Nierenkrebs sowie den Cholesterinspiegel beim Menschen gebe. „Das sind sehr klare Daten“, unterstreicht Birnbaum.

Auf die Bitte von „tal-mi-or“ um Stellungnahme der NIH zur Frage der Ursächlichkeit von PFAS in Bezug auf gesundheitliche Auswirkungen und zur Frage des gegenüber Linda Birnbaum angeblich erteilten Verwendungsverbotes des Begriffes „Ursache“, wenn es um die Auswirkungen von PFAS auf die Gesundheit des Menschen gegangen sei, haben die NIH bislang nicht reagiert.

BfR sieht Forschungsbedarf

Nach Angaben des BfR würden die Verbraucher nur geringe Mengen an PFAS am Tag aufnehmen. Was die Bewertung gesundheitlicher Risiken anbelange, würde die langfristige Aufnahme sowie die Anreicherung im Körper im Vordergrund stehen. Für das gesundheitliche Risiko sei der langfristige Gehalt an PFAS im menschlichen Körper entscheidend.

„Aus Tierversuchen ist bekannt, dass die Verbindungen PFOA und PFOS die Leber schädigen sowie entwicklungstoxisch und vermutlich krebserzeugend wirken. Sie verändern jedoch nicht das Erbgut, so dass für die krebserzeugende Wirkung davon auszugehen ist, dass Aufnahmemengen ohne gesundheitliche Auswirkungen definierbar sind. Unterhalb dieser Aufnahmemengen tritt die krebserzeugende Wirkung nicht auf. PFOA und PFOS können auch den Fettstoffwechsel, die Schilddrüsenfunktion und das Immunsystem beeinflussen“, schreibt das BfR.

Für die Aufnahme von PFOS und PFOA würden von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) sogenannte TWI-Werte festgelegt. TWI steht für „Tolerable Weekly Intake“, also die tolerierbare wöchentliche Aufnahme. Gemeint sei damit diejenige Aufnahmemenge pro Woche, die keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei lebenslanger Aufnahme erwarten lasse, erklärt das BfR und teilt mit:

„Langfristige TWI-Überschreitungen können laut der aktuellen Stellungnahme der EFSA beispielsweise mit Veränderungen des Fettstoffwechsels (Erhöhung des Gesamtcholesterinspiegels) einhergehen. Cholesterin ist einer der bekannten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. […] Bisher gibt es noch keine belastbaren epidemiologischen Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen den PFOS- und PFOA-Gehalten im Blut und einem erhöhten Risiko für diese Erkrankungen in besonders stark exponierten Bevölkerungsgruppen. Daher ist die derzeitige Bewertung gesundheitlicher Risiken durch die Exposition gegenüber PFOS/ PFOA basierend auf den aktuellen TWI-Werten der EFSA mit Unsicherheiten behaftet.“

Nach Aussage des BfR müsse eine Aufnahme von PFOS und PFOA, die mengenmäßig in den Bereich des TWI-Wertes falle, nicht zu einem Blutspiegel führen, der als gesundheitlich kritisch zu bewerten sei. Es könne Jahre dauern, bis Aufnahmemengen, die die Höhe des TWI-Wertes erreichen, auch einen gesundheitlich kritischen Blutspiegel bedeuten.

„Insgesamt bestehen aus Sicht des BfR erhebliche Unsicherheiten in Bezug auf die Expositionsdaten, auf die Evidenz einer Kausalität und auf Fragen der klinischen Relevanz der für die TWI-Ableitung zugrunde gelegten Effekte. Aus Sicht des BfR besteht weiterer Forschungsbedarf, unter anderem zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs (Kausalität) und zur gesundheitlichen Relevanz der beobachteten Effekte. Das BfR empfiehlt trotz des wissenschaftlichen Forschungsbedarfs bei der Bewertung von PFOS und PFOA in Lebensmitteln, die neu abgeleiteten gesundheitsbezogenen Richtwerte der EFSA heranzuziehen.“

Die von der Industrie mittlerweile als Alternative verwendeten kurzkettigen PFAS wiesen bei Tierversuchen – beispielsweise mit Perfluorhexansäure (PFHxA) – eine ähnliche toxikologische Wirkung auf wie die langkettigen PFAS. Allerdings scheine die Wirkungsstärke der kurzkettigen PFAS niedriger zu sein, da toxische Effekte erst bei höheren Dosierungen aufgetreten seien, schreibt das BfR. Es lägen nur wenige toxikologische Daten für diese neuen PFAS vor. Gesundheitliche Richtwerte für kurzkettige PFAS würden bisher überhaupt nicht existieren, also auch keine TWI-Werte.

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