Robert Züblin – 16.11.2019, 23:59 Uhr |
Interne Dokumente im Umfang von 403 Seiten soll ein Whistleblower der „New York Times“ zugespielt haben, die Aufschluss über die Umerziehungslager in China geben sollen, in denen unter anderem Uiguren aus der Region Xinjiang festgehalten werden.
Umerziehungslager haben Familien zerrissen
In den letzten drei Jahren sollen hunderttausende Uiguren, Kasachen und Muslime anderer Ethnien in chinesische Internierungslager gesperrt worden sein. Dort würden die Häftlinge über Monate – teilweise auch über Jahre – belehrt und verhört. Ziel sei es, sie vom Glauben abzubringen und sie zu loyalen Anhängern der Kommunistischen Partei Chinas zu machen, berichtet die „New York Times“ (NYT).
Die geleakten internen Dokumente zu den Umerziehungslagern in China sollen von einem Mitglied des chinesischen Polit-Establishments stammen, wie die NYT schreibt. Der Whistleblower wolle damit erreichen, dass sich die Führer der Kommunistischen Partei Chinas bis hin zum Staatspräsidenten Xi Jinping ihrer angeblichen Verantwortung für die Massenverhaftungen nicht entziehen können.
96 Seiten würden interne Reden von Präsident Xi enthalten, 102 Seiten würden interne Reden von anderen Funktionären zum Gegenstand haben, 161 Seiten seien Richtlinien und Berichte über die Überwachung und Kontrolle der uigurischen Bevölkerung in Xinjiang und 44 Seiten würden Material enthalten, das interne Untersuchungen von lokalen Funktionären betreffen würde.
In den Dokumenten soll auch stehen, dass die Regierung intern zugegeben habe, dass die Aktionen im Zusammenhang mit den Umerziehungslagern Familien auseinandergerissen haben. Außerdem hätten Funktionäre unerwartet Widerstand gegen das Programm geleistet, weil Gegenreaktionen befürchtet worden seien, aber auch ökonomischer Schaden.
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»Mit Virus des Islam-Radikalismus infiziert
Bisher, so die NYT, habe die Kommunistische Partei Chinas die Internierungslager als Job-Trainingszentren beschönigt, in denen der islamische Extremismus mit milden Methoden bekämpft würde. Aus den Informationen in den geleakten Dokumenten schließe die NYT nun aber, dass damit der „zwingende Charakter der Maßnahmen“ erkennbar werde.
Studenten hätten sich teilweise gefragt, wo ihre Verwandten wären, wenn sie nach Hause gefahren waren. In den geleakten Dokumenten soll eine Richtlinie enthalten sein, die den Beamten in China für solche Fälle die richtigen Antworten parat gelegt hätte, wie etwa diese: „Sie sind in einer von der Regierung eingerichteten Ausbildungsstätte.“
Den Studenten sollte unter Umständen auch mitgeteilt werden, dass ihre Verwandten von einem „Virus“ „infiziert“ worden seien, dem des islamischen Radikalismus. Sie hätten daher unter Quarantäne gestellt werden müssen. Und sie müssten geheilt werden.
„Wenn sie sich nicht ausbilden und trainieren lassen, werden sie die Gefahren des religiösen Extremismus nie richtig und vollständig verstehen“, soll eine vorgegebene Antwort in der Richtlinie lauten.
„Schätzen Sie diese Chance auf kostenlose Bildung, die die Partei und die Regierung bereitgestellt hat, um fehlerhaftes Denken vollständig auszumerzen und auch die Chance Chinesisch und berufliche Fähigkeiten zu erlernen“, so eine weitere Antwort in dem vermeintlichen Leitfaden, aus dem die NYT zitiert.
Angehörige unter Druck gesetzt?
Außerdem, so schreibt die NYT, sei den Studenten gedroht worden, dass ihr Verhalten darüber entscheiden würde, ob ihre Verwandten längere oder kürzere Zeit in diesen Einrichtungen festgehalten würden. „Ich bin sicher, dass Du sie unterstützen wirst, denn das ist zu ihrem Besten“, hätten die Beamten sagen sollen, „und auch zu Deinem Besten.“
Die NYT vermutet, dass die Behörden ein Bewertungssystem verwenden würden, nach dem sich entscheide, wer das Lager verlassen dürfe. Denn in dem Gesprächsleitfaden würde stehen, dass die Beamten den heimkehrenden Studenten sagen sollten, ihr Verhalten könne die Punktzahlen ihrer Verwandten beeinträchtigen.