Robert Züblin – 13.04.2019, 23:26 Uhr |
Ärzte und Wissenschaftler möchten die Krankheitsdefinitionen frei von finanziellen Interessenkonflikten überarbeiten, um Überdiagnosen und Überbehandlungen zu bekämpfen.
Immer mehr gesunde Menschen krank
Aktuell sei das Problem, dass immer mehr Menschen, die bisher als gesund galten, als krank diagnostiziert werden, was zur Überbehandlung führe. Das Problem sei, dass die derzeitigen Gremien, die die Leitfäden mit den Krankheitsdiagnosen ausarbeiten würden, häufig enge Beziehungen zur Industrie hätten.
Die unnötige Ausweitung von Krankheitsdefinitionen sei die Folge von konfligierenden Interessenlagen. Allerdings würde dadurch, dass immer mehr zuvor gesunde Menschen als krank eingestuft würden, ein Schaden entstehen, der von den verantwortlichen Gremien nicht analysiert würde.
Um die Überdiagnose einzudämmen, schlägt eine Gruppe von Forschern und Klinikern vor, die Schwelle, ab wann jemand als krank diagnostiziert wird, zu erhöhen und Krankheiten eindeutig zu definieren.
Gremien ohne Interessenkonflikte
Ein großes Problem sei die Medikalisierung bei Personen, die nur ein „Risiko“ für eine zukünftige Krankheit in sich tragen. Diese führe mit Sicherheit zu Überdiagnosen, denn unter diesen Risikopatienten wären immer auch solche, bei denen die Krankheit nie ausbrechen werde. Stattdessen würden Langzeitschäden verursacht durch Überdiagnose und Übertherapie.
Die Forscher sagen: „Viele der Gebilde, die als ‚Krankheiten‘ oder ‚chronische Erkrankungen‘ bekannt geworden sind – darunter Bluthochdruck, hoher Cholesterinspiegel, Diabetes Typ 2 und Osteoporose – werden besser als Risikozustände verstanden.“ Ihren Höhepunkt erreicht die Medikalisierung mit der zunehmenden Schaffung von „Vorerkrankungen“ wie der Prädiabetes. Hier könne es dann dazu kommen, dass Personen ein Risiko für einen Risikozustand attestiert werde.
Ein neuer Weg, Krankheiten zu definieren und Schwellen festzulegen, sei die „Verwendung expliziter Leitfäden zur Bewertung des potenziellen Nutzens und der Schäden bei der Änderung der Krankheitsdefinitionen, wobei der Schwerpunkt auf menschenorientierten Ergebnissen liegt. Außerdem sollten die neuen Gremien vorrangig medizinisch geleitet werden, multidisziplinär aufgestellt sein, mit Vertretern der Zivilgesellschaft und keine finanziellen Verflechtungen mit der Industrie aufweisen.“