Chronobiologie

Was ist Chronobiologie?

Chronobiologie ist die Wissenschaft vom Lebens-Rhythmus der Lebewesen. Chrono-Biologen haben zeitlich wiederkehrende Muster bei Pflanzen, Tieren und Menschen gefunden.

Verschiedene Wissenschaftler haben in den letzten Jahren immer wieder darauf aufmerksam gemacht, dass die Menschheit in Frühaufsteher und Langschläfer gespalten ist. Synonyme sind Lerchen/ Eulen, Früh-/ Spättypen, A-/ B-Typen.

Ob man zu den Frühtypen oder den Spättypen gehört, ist bei Kindern und Erwachsenen genetisch bedingt; Jugendliche sind aus hormonellen Gründen generell Spättypen.[1] Neben der Entnahme von Hautzellen kann die Bestimmung des individuellen Chronotyps auch durch die Entnahme von Haaren[2] oder Blut erfolgen.

Eine Uhr auf einem Platz.
Es ist Winterzeit
[Foto: Jürgen Ludwig, Quelle: Bundesarchiv/ Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de]

 

Die inneren Uhren der Menschen stimmen jedoch nur im Falle der extremen Frühtypen mit der aktuell auf die Morgenstunden ausgerichteten gesellschaftlichen Zeitplanung überein. Und das Erschreckende: Nur 15 Prozent der Bevölkerung sind extreme Frühtypen. Nur sie können ab 7 Uhr morgens die volle Leistung erbringen. Spättypen, ebenfalls circa 15 Prozent der Bevölkerung, sowie Jugendliche sind erst am späten Vormittag voll leistungsfähig. Die große Masse der Bevölkerung liegt also in dem Bereich zwischen Früh- und Spättyp. Für sie wäre ein Arbeitsbeginn irgendwann in der Zeit von 9 bis 10 Uhr optimal.[3]

Aber nicht nur ein zu früher oder zu später Arbeits- und Schulbeginn stellt für viele Menschen eine Belastung dar, auch die in etlichen Ländern praktizierte Zeitumstellung auf Sommerzeit ist für die menschliche Gesundheit schädlich, wie neueste Studien bestätigen.

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Kondratieff-Zyklus läuft langsam an

Trotz der Erkenntnisse aus der Chronobiologie, ist ein gesellschaftlicher Wandel nur sehr vereinzelt sichtbar. Die Chancen eines solchen Wandels wären durch Leistungssteigerungen und die Minimierung von Krankheiten und Unfällen, die wegen Schlafmangels verursacht werden, enorm. Gleitzeitmodelle in Unternehmen sind zwar ein erster Schritt; immer wieder wird jedoch von Mobbing berichtet, wenn Kollegen die Gleitzeit voll ausnutzen[4]: sie gelten dann als faul, unproduktiv und nicht ehrgeizig.[5]

Die Erkenntnisse der Chronobiologie treffen auf einen neuen Wirtschaftszyklus. Unter Heranziehung der Theorie der „langen Wellen“ stünden wir, so Leo A. Nefiodow, am Anfang dieses neuen Wirtschaftszyklus. Wie bei den fünf vorherigen Wirtschaftszyklen ließen sich auch zu Beginn des sechsten Kondratieff-Zyklus Basisinnovationen beobachten: psycho-soziale Gesundheit und Biotechnologie.

Grafik der Kondratjew-Zyklen unter durch Hinzufügung des sechsten Kondratieff-Zyklus durch Leo A. Nefiodow.
Die wirtschaftliche Entwicklung erfolgt in langen Wellen
[Quelle: Leo Nefiodow: Der sechste Kondratieff, 2001.]

 

Da der gegenwärtige Wirtschaftszyklus auf die Gesundheit fokussiert ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Potentiale, die in der Respektierung der Chronobiologie des Menschen liegen, in den nächsten Jahren voll ausgeschöpft werden. Denn zu einem der banalsten aber auch vernachlässigsten gesundheitlichen Risiken gehört das Risiko Schlafmangel; oft verursacht durch den zu frühen Schul- und Arbeitsbeginn. Eines der wesentlichsten Hindernisse für die gesellschaftliche Umsetzung der chronobiologischen Erkenntnisse stellt die Kommunikation des Themas dar, da spätes Aufstehen heute noch sozial geächtet wird.

Vergesellschaftung der inneren Uhren

Die Effizienzeinbußen durch Schlafmangel sowohl bei Schülern und Studenten als auch bei Arbeitnehmern haben einen direkt-negativen Einfluss auf Bildung, Wissenschaft und Wirtschaft.

Schlafmangel ist ein Risiko für und durch die Gesellschaft, weil Schulbeginn und Arbeitszeiten sozial festgelegt werden, aber nur 15 Prozent der Bevölkerung bereits ab 7 Uhr voll leistungsfähig ist.[6] Der Rest ist von den Nachteilen eines dauernden Schlafmangels betroffen; denn früher Schlafengehen ist keine Option, wenn die innere Uhr das nicht erlaubt. Eine Umerziehung zu einem anderen Schlaftypen ist nicht möglich.

Jugendliche sind hormonell bedingt erst am späten Vormittag voll aufnahmefähig.[7] Gleiches gilt aus genetischen Gründen für absolute Spättypen. Der Rest der Bevölkerung rangiert irgendwo dazwischen und weicht von seiner Chronobiologie im Durchschnitt zwei Stunden vom gesellschaftlich vorgeschriebenen Zeitplan ab.[8]

Schlafmangel kann vielfältige Auswirkungen haben:

  • Dauer-Jetlag führt zu chronischen Krankheiten, vor allem bei älteren Menschen[9] und bei Schichtarbeitern[10]
  • Übermüdung führt zu Unfällen (gerade auch bei Spättypen unter den Kindern, die im Halbschlaf zur Schule gehen)[11]
  • Effizienzeinbußen: volkswirtschaftlicher Schaden durch Bildungs- und Produktivitätseinbußen
  • Verletzung der Fürsorgepflicht des Staates gegenüber seinen Beamten
  • Verletzung der Fürsorgepflicht des Staates gegenüber Schülern, die einem Schulzwang 
unterliegen
  • Verletzung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern

Chancen durch besseres Zeitmanagement

Studien zeigen, dass eine Verlagerung des Schulbeginns um eine halbe Stunde zu geringerer Krankheitsanfälligkeit und deutlicher Leistungsverbesserung führt. In Bezug auf das Problem der Schichtarbeiter lassen sich unter Berücksichtigung der Chronotypen fast 24 Stunden abdecken, ohne dass Arbeitnehmer gegen ihre innere Uhr arbeiten müssten.[12]

Bewusstseinswandel erforderlich

Dass Frühaufstehen bis heute positiv belegt ist, zeigt zum Beispiel die von 2005 bis 2014 gelaufene Werbekampagne des deutschen Bundeslandes Sachsen-Anhalt: „Wir stehen früher auf“. Ausgangspunkt für dieses Motto war eine Umfrage, wonach die Sachsen-Anhalter im Durchschnitt um 6:39 Uhr aufstehen und damit früher als die Bewohner aller anderen deutschen Bundesländer.[13]

Die heutige Gesellschaft beschränkt sich aber nicht auf die Achtung der Frühaufsteher, sondern ächtet im Gegenzug die Spätaufsteher.[14] Nach Camilla Kring, einer Vertreterin der Spättypen, bedarf es daher eines Bewusstseinswandels.[15]

In die Aufmerksamkeit der breiten Öffentlichkeit gerückt ist das Thema Chronobiologie durch die im Jahr 2018 erfolgte Umfrage der Europäischen Kommission, in der die EU-Bürger gefragt wurden, was sie von der halbjährlichen Zeitumstellung hielten – insbesondere vor dem Hintergrund der gesundheitlichen Auswirkungen.

Konfligierende Akteursinteressen

Lehrer zählen in der Regel zu den genetisch bedingten Frühtypen[16]; sonst würden sich viele den Beruf des Lehrers auch nicht aussuchen. Jugendliche zählen hormonell bedingt sämtlichst zu den Spättypen. Diese Diskrepanz ist von besonderer Relevanz, da die Organisation des Schulbeginns in der Hand des Lehrkörpers liegt (beziehungsweise in der Hand von Schulräten, die ihre berufliche Laufbahn in aller Regel als Lehrer, also als Frühtyp, begonnen haben). Eine Verschiebung des Schulbeginns nach hinten zu Gunsten der Schüler ist also generell eher unwahrscheinlich.

In der Wirtschaft könnte der Bewusstseinswandel in puncto Chronobiologie früher eintreten. Unternehmen stehen heute in einem immer stärker werdenden Wettbewerb um Fachkräfte. Nur wer attraktive Arbeitsbedingungen schafft, kann in diesem Wettbewerb bestehen. Unternehmen haben daher tendenziell ein großes Interesse daran, Spättypen einen Arbeitsbeginn ihrer Wahl anzubieten, sofern das mit den organisatorischen Gegebenheiten des Unternehmens vereinbar ist.

Neueste Erkenntnisse

Nobelpreis an Chronobiologen

Im Jahr 2017 erhielten die drei Wissenschaftler Jeffrey Hall, Michael Rosbash und Michael Young den „Nobelpreis für Physiologie oder Medizin“, weil sie in den 1980er Jahren bei der Fruchtfliege das Gen isoliert hatten, das für die Steuerung des Tag-/ Nachtrhythmus zuständig ist.

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Quellen

[1] Roenneberg, Till/ Merrow, Martha: Die innere Uhr, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B31/99, 30. Juli 1999, S. 16.
[2] Der Standard: Frühaufsteher sind an den Haarwurzeln zu erkennen, auf: www.derstandard.at, 23. August 2010.
[3] Loll, Anna: Gleichberechtigung für Spätaufsteher, auf: www.tagesanzeiger.ch, 14. Oktober 2007.
[4] Seith, Anne: Morgenmuffel starten Schlaf-Revolution, auf: www.spiegel.de, 04.04.2007. Siehe auch: SPIEGEL ONLINE Forum: Spätere Arbeitszeiten für Langschläfer – Luxus oder Notwendigkeit? Forumsbeitrag #6.
[5] Leendertse, Julia: Faul, unproduktiv und wenig ehrgeizig, auf: www.handelsblatt.com, 28.08.2007.
[6] Leendertse, Julia: Faul, unproduktiv und wenig ehrgeizig, auf: www.handelsblatt.com, 28.08.2007.
[7] EPD/ OC: Spätaufsteher ticken anders als Frühaufsteher, auf: www.welt.de, 16.10.2008.
[8] Leendertse, Julia: Faul, unproduktiv und wenig ehrgeizig, auf: www.handelsblatt.com, 28.08.2007.
[9] EPD/ OC: Spätaufsteher ticken anders als Frühaufsteher, auf: www.welt.de, 16.10.2008.
[10] Roenneberg, Till/ Merrow, Martha: Die innere Uhr, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B31/99, 30. Juli 1999, S. 14.
[11] EPD/ OC: Spätaufsteher ticken anders als Frühaufsteher, auf: www.welt.de, 16.10.2008.
[12] Roenneberg, Till/ Merrow, Martha: Die innere Uhr, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B31/99, 30. Juli 1999, S. 16.
[13] Kruse, Stefan/ dpa: Ärger im Land der Frühaufsteher, auf: www.n-tv.de, 27. Mai 2010.
[14] Leendertse, Julia: Faul, unproduktiv und wenig ehrgeizig, auf: www.handelsblatt.com, 28.08.2007.
[15] Loll, Anna: Gleichberechtigung für Spätaufsteher, auf: www.tagesanzeiger.ch, 14. Oktober 2007.
[16] Manzo, Sara Maria: Von Eulen und Lerchen, auf: www.faz.net, 22. April 2009.