WHO und Wissenschaftler stellen Ansatz der Herdenimmunität in Frage

Ein Arzt untersucht eine Biopsie mit einem Mikroskop.
Ein Arzt beim Mikroskopieren
[Fotograf: Vera Stark (geb. Katscherowski), Quelle: Bundesarchiv/ Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de, Kolorierung: Robert Züblin]
Robert Züblin | 16.03.2020 | 01:16 Uhr

Angesichts der aus Sicht von Wissenschaftlern zu laxen Maßnahmen seitens der Regierung in Großbritannien gegen die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus haben mittlerweile über 400 Wissenschaftler in einem offenen Brief eine Abkehr vom Ansatz der Herdenimmunität in Bezug auf SARS-CoV-2 gefordert.

Auch die WHO spreche sich gegen den Herdenimmunitäts-Ansatz aus, da man über das neue Virus zu wenig wisse.

Offener Brief von Wissenschaftlern

In einem offenen Brief haben am 14. März 2020 hunderte Wissenschaftler schärfere Maßnahmen von der britischen Regierung zur sozialen Distanzierung in Großbritannien gefordert. Mittlerweile wurde der Brief mit dem Titel „Public request to take stronger measures of socialdistancing across the UK with immediate effect“ von über 400 Wissenschaftlern unterschrieben.

„Insbesondere sind wir zutiefst besorgt über den zeitliche Rahmen des vorgeschlagenen Plans, der darauf abzielt, soziale Distanzierungsmaßnahmen noch weiter hinauszuzögern. Die aktuellen Daten über die Zahl der Infektionen im Vereinigten Königreich stimmen mit den Wachstumskurven überein, die bereits in anderen Ländern, darunter Italien, Spanien, Frankreich und Deutschland, beobachtet wurden. Dieselben Daten lassen darauf schließen, dass die Zahl der Infizierten innerhalb weniger Tage in der Grössenordnung von Zehntausenden liegen wird. Bei ungehemmtem Wachstum wird dieser Ausbruch in den nächsten Wochen Millionen von Menschen betreffen“, heißt es in dem Brief.

Die Folge eines solch rasanten Anstieges der Fallzahlen wäre, so die Wissenschaftler, dass das nationale Gesundheitssystem nicht mehr alle Patienten, die ein Bett auf der Intensivstation benötigen würden, behandeln könnte.

„Eine ‚Herdenimmunität‘ scheint zum jetzigen Zeitpunkt keine praktikable Option zu sein, da der NHS [National Health Service, auf Deutsch: Nationaler Gesundheitsdienst] dadurch noch stärker belastet wird und viel mehr Leben als nötig riskiert werden. Wenn man jetzt sozial distanzierende Maßnahmen einführt, kann das Wachstum dramatisch verlangsamt und Tausende von Leben verschont werden“, sagen die Wissenschaftler und meinen, „dass sofort zusätzliche und schärfere Maßnahmen ergriffen werden sollten“.

WHO gegen Coronavirus-Herdenimmunität

Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stellt den Ansatz der Entwicklung einer Herdenimmunität gegen SARS-CoV-2 in Frage. Gegenüber dem Radiosender „BBC Radio 4“ soll die WHO-Sprecherin Dr. Margaret Harris laut der Zeitung „The Guardian“ gesagt haben: „Wir wissen nicht genug über die Natur des Virus. Es ist noch nicht lange genug in unserer Bevölkerung, um zu wissen, was es in immunologischer Hinsicht bewirkt.“

Außerdem soll sie gesagt haben: „Jedes Virus funktioniert anders in Ihrem Körper und stimuliert ein anderes immunologisches Profil. Wir können über Theorien reden, aber im Moment stehen wir wirklich vor einer Situation, in der wir uns mit Taten beschäftigen müssen.“

COVID-19