Neue Flammschutzmittel scheinbar ebenso schädlich wie PBDE

Flammen, die im Feuer lodern.
Lodernde Flammen
[Fotograf: Engelbert Reineke, Quelle: Bundesarchiv/ Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de, Kolorierung: Robert Züblin]

 

Robert Züblin – 23.10.2019, 13:45 Uhr

Nach einer Meta-Studie zur Frage, ob heute verwendete Flammschutzmittel schädlich sind, zieht eine der beteiligten Forscherinnen den Schluss, dass die neuen Organophosphat-Flammschutzmittel scheinbar ebenso schädlich sind, wie die von ihnen ersetzte Chemikalie PBDE.

Flammschutzmittel PBDE ersetzt durch OPE

Flammschutzmittel aus einem Gemisch des polybromierten Diphenylether (PBDE) wurden laut Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) seit den 1970er Jahren im Elektronikbereich in Kunststoffen eingesetzt und in Textilien aus synthetischen Materialien.

Nachdem in den 1980er Jahren festgestellt wurde, dass bromierte Flammschutzmittel aus PBDE-Gemischen an vielen Orten in der Umwelt wiederzufinden waren – etwa bei Seevögeln -, hatte sich die Industrie in Deutschland freiwillig verpflichtet, auf den Einsatz der PBDE-Gemische PentaBDE und OctaBDE zu verzichten.

Das Bundesumweltministerium sagt zu den PBDE-Gemisch-Typen PentaBDE und OctaBDE: „Sie besitzen toxische Eigenschaften, beeinträchtigen die neuronale Entwicklung und das Hormonsystem und wurden in Muttermilchproben nachgewiesen. Penta- und OctaBDE sind wegen Gefährdung der Umwelt und auch zum vorbeugenden Schutz gestillter Säuglinge EU-weit verboten.“

In der neuen Flammschutzmittel-Studie, die in der Fachzeitschrift „Environmental Science & Technology Letters“ veröffentlicht wurde, heißt es, angesichts der Rückläufigkeit der Verwendung von PBDE und der halogenorganischen Flammschutzmittel, würden zunehmend Organophosphatester-Flammschutzmittel (OPE) als Brandhemmer zum Einsatz kommen.

Ersatz-Flammschutzmittel schädlich?

In der neuen Studie haben die Wissenschaftler die OPE-Mittel und die PBDE-Mittel in Bezug auf mehrere Eigenschaften miteinander verglichen. Die Ersatz-Chemikalie OPE sei mit „einem niedrigeren IQ bei Kindern, reproduktiven Problemen und anderen schweren Gesundheitsschäden“ in Verbindung gebracht worden, wie es in einer Pressemitteilung zur Studie heißt. Kinder seien besonders gefährdet, da sie gewöhnt sind, ihre Hände in den Mund zu nehmen. Kleinkinder könnten im Vergleich zu Erwachsenen die 3- bis 10-fache Menge (und mehr) an Flammschutzmitteln aufnehmen.

Fast bei jeder untersuchten Person seien Organophosphat-Flammschutzmittel gefunden worden. Dabei sei das Niveau mehrfach so hoch gewesen, dass es die Fruchtbarkeit bei Erwachsenen gefährden oder eine Gefahr für die Gehirnentwicklung beim Kind sein könnte.

„Die Exposition gegenüber OPFRs [Organophosphate Ester Flame Retardants, auf Deutsch: Organophosphatester-Flammschutzmittel] ist bei Menschen und in Außen- und Innenräumen allgegenwärtig, und OPFRs sind heute oft in höheren Konzentrationen im Vergleich zu PBDE-Spitzenwerten zu finden. Darüber hinaus deuten Daten aus Toxizitätstests, epidemiologischen Studien und Risikobewertungen darauf hin, dass es bei den derzeitigen Expositionsniveaus sowohl bei halogenierten als auch bei nicht-halogenierten OPFRs gesundheitliche Bedenken gibt“, schreiben die Studienautoren.

Die Wissenschaftler sagen, dass es viele Jahre dauern könne, bis die zur Regulierung der OPFRs erforderlichen Beweise durch die Wissenschaft erbracht worden seien.

„Wir müssen erkennen, dass diese Flammschutzmittel die Gehirnentwicklung einer ganzen Generation gefährden“, sagt Linda Birnbaum, eine der an der Studie beteiligten Forscherinnen.

»Flammhemmende Stoffe reduzieren

Weiter heißt es in der Pressemitteilung zur Meta-Studie, dass man flammhemmende Chemikalien in vielen Produkten zur Reduzierung der Brandgefahr nicht notwendigerweise bräuchte, teilweise seien sie nicht einmal wirksam. Diese Flammschutzmittel würden nur der Vorschriften halber verwendet. Es gäbe Forschungen, wonach sich die Entzündung eines Feuers mit diesen Flammschutzmitteln oftmals nur um wenige Sekunden verzögern ließe.

Genauso wie die PBDE-Flammschutzmittel würden auch die Organophosphat-Flammschutzmittel kontinuierlich aus den Produkten, in denen sie verarbeitet wurden, entweichen. Auf diese Weise landen sie im Staub. Der Gehalt von Organophosphat-Flammschutzmitteln, der in der Luft, in Staub und in Wasser festgestellt worden sei, hätte oft 10 bis 100 Mal höher gelegen als die Mengen, die bei den zuvor verwendeten Flammschutzmitteln festgestellt worden seien.

„Organophosphate sind heute weltweit verbreitet und verschmutzen Gebiete, in denen nie Flammschutzmittel verwendet wurden“, sagt die Professorin Miriam Diamond, eine der an der Meta-Studie beteiligten Forscherinnen.

In der Flammschutzmittel-Studie empfehlen die Wissenschaftler den Herstellern, Wege ohne das Hinzufügen von flammhemmenden Chemikalien zu beschreiten, um das Brandrisiko bei den betreffenden Produkten zu reduzieren.

„Es ist entmutigend, dass nach jahrelanger gesundheitlicher Schädigung unserer Kinder durch PBDE-Flammschutzmittel die am häufigsten verwendeten Ersatzstoffe ebenso schädlich zu sein scheinen“, sagt Dr. Arlene Blum, eine der Studienautorinnen. „Um zukünftige Generationen zu schützen, können und müssen die Hersteller den Kreislauf der toxischen Ersatzstoffe stoppen und unnötige Flammschutzmittel ganz vermeiden.“

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