Kulanz wegen Ausgangssperre: Deutsche Bahn hat Zugbindung aufgehoben

Bahnhof Alexanderplatz in Berlin in der Nacht.
Bahnhof in der Nacht
[Fotograf: Günther Kulka, Quelle: Bundesarchiv/ Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de]
Robert Züblin | 02.05.2021 | 10:01 Uhr

Die Deutsche Bahn hat für Reisen, die in die im Bundes-Notbremse-Gesetz geregelte nächtliche Ausgangssperre fallen, die Zugbindung für Sparpreis-Tickets und Super Sparpreis-Tickets aufgehoben, wenn die geplante Ankunft oder Abfahrt zwischen 21 und 6 Uhr liegt.

Tickets können am Tage genutzt werden

Angesichts der Tatsache, dass von offizieller Seite nicht einheitlich und teilweise unklar kommuniziert wird, ob eine Transitreise durch ein Hochinzidenzgebiet während der seit dem 24. April 2021 greifenden Ausgangssperre erlaubt ist, wollte der Autor bei der Deutschen Bahn erfahren, ob daher die Rückgabe eines Super Sparpreis-Tickets ausnahmsweise möglich ist. Gegenüber dem Autor hat der Kundenservice der Deutschen Bahn daraufhin folgendes mitgeteilt:

„Für Reisende mit Tickets des Fernverkehrs mit Buchungsdatum bis einschließlich 23. April 2021 und Reisedatum bis einschließlich 30. Juni 2021, deren geplante Reise innerhalb der Ausgangssperren des Bundes-Notbremse-Gesetzes fällt, gewähren wir folgende Kulanz:

Bei einer geplanten Ankunft/ Abfahrt zwischen 21 und 6 Uhr können Sie das Ticket am Reisetag, am Tag vor dem eigentlichen Reisetag oder am Tag nach dem eigentlichen Reisetag flexibel nutzen. Die Zugbindung bei Sparpreisen und Super Sparpreisen ist aufgehoben.

Für das City-Ticket kann diese Kulanz nicht gewährt werden. Für die Fahrt zum/ vom Bahnhof im Start- oder Zielort ist am neuen Reisetag eine Fahrkarte für den ÖPNV vor Ort zu erwerben.“

Es ist also kein Umbuchen der betroffenen Sparpreis-Tickets und Super Sparpreis-Tickets erforderlich, da deren Zugbindung im beschriebenen Zeitraum aufgehoben ist. Der Kundenservice der Bahn empfiehlt jedoch, dass man nicht auf die erste oder letzte Verbindung des Tages ausweichen sollte, damit die Züge gleichmäßig ausgelastet sind.

Im Übrigen muss es sich bei der „geplanten Ankunft/ Abfahrt“ nicht um den Ziel- oder Startort handeln, sondern es kann auch ein Umsteigebahnhof sein, der sich in einem Gebiet befindet, in dem die Ausgangssperre greift.

 
 

„Totales Nachtreiseverbot“ oder Ermessen?

Ob überhaupt ein „totales Nachtreiseverbot für Deutschland“ während der im neuen Infektionsschutzgesetz geregelten Ausgangssperre von 22 bis 5 Uhr gilt, wie von der Bild-Zeitung getitelt wurde, ist mehr als fraglich, denn dazu gibt es ganz unterschiedliche Meinungen auf bundesministerieller Ebene aber auch zwischen den Bundesländern.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sagte in einer Pressekonferenz am 23.4.2021, Ausgangsbeschränkung heiße, dass man „außer für die triftigen Gründe, die gesetzlich genannt werden, dann nicht rauszugehen“ hat, „also auch nicht zu reisen.“

Gegenüber der Tagesschau habe ein Sprecher des Bundesinnenministeriums jedoch gesagt, dass der Transit mit der Bahn und allen anderen Verkehrsmitteln durch einen Landkreis erlaubt sei, solange die Inzidenz unter 100 am Ausgangsort und am Zielort läge, also die 7-Tage-Inzidenz unter 100 Neuinfektionen je 100.000 Einwohner liegt.

Gegenüber tal-mi-or sagte das Bundesgesundheitsministerium auf die Frage, wie es zu diesem Widerspruch zwischen Bundesinnenministerium und Bundesgesundheitsministerium kommt: „Hier gibt es keinen Widerspruch zwischen den Aussagen von Herrn Bundesminister Spahn und Herrn Alter. Die eine Frage bezog sich auf die Ausgangsbeschränkung im Ziel- bzw. Abfahrtsort, die andere Frage auf den Transit durch ein entsprechendes Gebiet mit einer Ausgangssperre.“

Auf Nachfrage des Autors bei der Bundespolizei, die für die Sicherheit und Ordnung auf den Bahnhöfen und in den Zügen der Deutschen Bahn zuständig ist, heißt es:

„Die Überwachung der Einhaltung der in § 28b Absatz 1 Nr. 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG) normierten Ausgangsbeschränkung im Zeitraum von 22.00 Uhr bis 05.00 Uhr des Folgetages obliegt, wie bisher auch, den zuständigen Landesbehörden. Die Bundespolizei unterstützt die Landesbehörden und die Eisenbahnverkehrsunternehmen bei der Überwachung der Einhaltung der Vorgaben der jeweiligen Landeseindämmungsverordnung sowie seit Inkrafttreten des IfSG auch der in diesem Gesetz enthaltenen Vorschriften.

Sofern die Bundespolizei im Rahmen der eigenen Aufgabenerfüllung entsprechende Feststellungen tätigt, beispielsweise Personen, die sich ohne FFP2-Masken oder Mund-Nase-Schutz in Bahnhöfen oder Zügen aufhalten, oder auch in den Fällen, bei denen Personen während der Ausgangsbeschränkung angetroffen werden, prüft die Bundespolizei, ob die Information der zuständigen Verwaltungsbehörde des jeweiligen Landes über den Sachverhalt zur Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens erforderlich ist.

Wie auch in der Vergangenheit ist es primäre Aufgabe der Länder, zunächst der Gesundheitsämter, in Amtshilfe der Ordnungsämter und in Vollzugshilfe der Polizeien der Länder, die Überwachung der Einhaltung der Vorschriften der Landeseindämmungsverordnungen und des IfSG durchzuführen. Die Bundespolizei unterstützt die Landesbehörden im Rahmen der eigenen Aufgabenwahrnehmung.“

Auf Nachfrage von tal-mi-or bei einer Landesbehörde heißt es seitens des Ministeriums für Soziales und Integration des Landes Baden-Württemberg auf die Frage, ob Transitreisen unter dem neuen Infektionsschutzgesetz erlaubt sind:

„Auch wer in einem Landkreis oder einer Stadt mit Inzidenz unter 100 eine Fahrt oder Reise startet, muss beachten, dass das Durchfahren von Hotspot-Landkreisen (Inzidenzwert 100 und höher) zu den oben genannten Uhrzeiten nicht erlaubt ist. Reisen und längere Fahrten sind daher so zu planen, dass sie nicht in den Zeitraum der nächtlichen Ausgangssperren fallen. Eine Ausnahme sind auch hier triftige Gründe […].“

Das Ministerium für Soziales und Integration des Landes Baden-Württemberg setzt sich mit dieser Rechtsmeinung in absoluten Widerspruch zu einer Rechtsmeinung des Staatsministeriums Baden-Württemberg, die noch in Bezug auf die „Zweite Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung“ vertreten wurde. In dieser Verordnung war bereits im Dezember 2020 eine Ausgangssperre geregelt, wobei der Wortlaut der Regelung dem des neuen Infektionsschutzgesetzes in Bezug auf die Begriffe „Wohnung“ und „Unterkunft“ glich. In einer Pressemitteilung des Staatsministeriums Baden-Württemberg vom 23. Dezember 2020 heißt es: „Reisende, die lediglich durch Baden-Württemberg durchreisen, können dies auch weiterhin während der geltenden Ausgangsperre. Ein Umstieg an den Bahnhöfen und Flughäfen im Land ist für sie weiter möglich.“

Vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Meinungen der Ministerien auf Landes- und Bundesebene zur Frage der Legalität von Transitreisen während der Ausgangssperre erscheint es nicht verwunderlich, dass die Bundespolizei dem Autor im Anschluss an die oben zitierte Mitteilung seitens der Bundespolizei zu ihrer Kompetenz etwa bei Kontrollen der Ausgangssperre mitteilt: „Sollten Sie also durch die Bundespolizei am Bahnhof während der Zeit der Ausgangssperre angetroffen werden, liegt es im Ermessen der Beamten, ob diese eine Meldung über einen möglichen Verstoß an das zuständige Gesundheitsamt abgeben. Das Gesundheitsamt entscheidet anschließend, ob ein Verstoß gegen die Ausgangssperre vorliegt, der mit einem Bußgeld geahndet wird.“

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Bundes-Notbremse sorgt für Durcheinander

Das Ziel der Bundes-Notbremse war die Schaffung von Einheitlichkeit im föderalen Durcheinander, wie sich aus dem Titel des entsprechenden Paragrafen 28 b IfSG (Infektionsschutzgesetz) ergibt: „Bundesweit einheitliche Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus- Krankheit-2019 (COVID-19) bei besonderem Infektionsgeschehen, Verordnungsermächtigung“. Dass jetzt mehrere Bundesministerien ihre eigenen sich widersprechenden Interpretation des neuen Infektionsschutzgesetzes in Bezug auf die Reichweite der Ausgangssperre verlautbaren, schießt an diesem Ziel komplett vorbei.

Rechtsstaatlich besonders problematisch ist, dass das Bundesinnenministerium, dem die Bundespolizei untersteht, von seiner ursprünglichen Behauptung, dass Transitreisen erlaubt seien, ohne Angabe von Gründen Abstand genommen hat. Denn diese radikale Änderung der Rechtsmeinung zu Transitreisen ist Ausdruck reiner Willkür. Die Pressesprecherin des BMI, Alina Vick, hat gegenüber tal-mi-or am 26. April 2021 gesagt:

„Das Infektionsschutzgesetz enthält Ausgangsbeschränkungen in der Zeit zwischen 22 Uhr und 5 Uhr und sieht von diesen nur wenige zwingende Ausnahmen vor, etwa zur Berufsausübung, zur Betreuung von Angehörigen, zur Tierpflege, zur Ausübung des Sorgerechts und Ähnliches.

Andere Fälle, die nicht in diesem Katalog enthalten sind, sind von diesen Ausgangsbeschränkungen vollständig erfasst. Das betrifft nicht nur ein stationäres Verhalten, sondern auch ein Reisen von A nach B.“

Und angesichts des Willkürverbotes im Rechtsstaat ist mindestens genauso problematisch, dass der Bundesgesundheitsminister erst ein Nachtreiseverbot verkündet, das außer bei triftigen Gründen gelte, sich dann aber der zwischenzeitlichen Meinung des Bundesinnenministeriums anschließt und dann einfach an das Bundesinnenministerium verweist, wenn man das Bundesgesundheitsministerium mit der Änderung der Rechtsmeinung des Bundesinnenministeriums konfrontiert und um Klarstellung bittet, ob der Transit eines Hochinzidenzgebietes inklusive Umsteigen im Hochinzidenzgebiet während der Ausgangssperre nun erlaubt ist oder nicht.

WD als Meinungsmacher?

Denkbar ist, dass der Wissenschaftliche Dienst (WD) des Bundestages Grund allen Übels in dieser verworrenen Diskussion um die Frage ist, ob Transitreisen während der Ausgangssperre für jedermann erlaubt sind. Denn in seiner „Kurzinformation Zur Durchreise bei Ausgangssperren nach § 28b Infektionsschutzgesetz„, veröffentlicht am 21. April 2021, heißt es:

„Als Wohnung im verfassungsrechtlichen Sinne sind alle Räume einzustufen, die der allgemeinen Zugänglichkeit durch eine räumliche Abschirmung entzogen und zur Stätte privaten Lebens und Wirkens gemacht sind. Nicht erfasst sind unter anderem Autos. Auch Luftverkehrsmittel, die lediglich der Fortbewegung dienen, dürften nicht dazu zählen.

Ausweislich der Begründung des Gesetzesentwurfs sollen auch öffentliche Verkehrsmittel von der Ausgangsbeschränkung erfasst sein. Demnach ist also in Landkreisen bzw. kreisfreien Städten, in denen die Ausgangsbeschränkung gilt, zwischen 22 Uhr und 5 Uhr der Aufenthalt in Fortbewegungsmitteln untersagt.

Eine Durchreise wäre nur dann gestattet, wenn dies in § 28b Abs. 1 Nr. 2 IfSG n.F. als Ausnahmetatbestand definiert wäre; dies ist jedoch nicht der Fall.

Daraus folgt, dass eine Durchreise durch Gebiete, in denen die Ausgangssperre gilt, nur dann gestattet ist, wenn sie einem der in § 28b Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a-f IfSG n.F. genannten Ausnahmetatbestände dient.“

Dabei wird in diesem Kurzgutachten mit keinem Wort auf den Begriff „Unterkunft“ eingegangen, der ebenfalls in § 28b Abs. 1 Nr. 2 IfSG genannt wird. Wie man schon bei Wikipedia lesen kann, gelten aber auch Züge und Bahnhöfe als „Unterkunft“.

Ferner liegt ein logischer Fehlschluss vor, wenn der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages aus der Begründung zum Infektionsschutzgesetz folgert, dass der Aufenthalt in öffentlichen Verkehrsmitteln per se von der Ausgangssperre erfasst sein soll, weil es an der angegebenen Stelle in der Begründung zum Infektionsschutzgesetz heißt: „Ferner kann durch die Ausgangsbeschränkung auch eine gewisse Zahl unbeabsichtigter Kontakte zwischen Menschen, etwa in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Fluren eines Mehrfamilienhauses, verhindert werden.“

Ein logischer Fehlschluss ist diese Folgerung deswegen, weil ein Flur eines Mehrfamilienhauses auch nicht wegen dieser Begründung im Infektionsschutzgesetz von der Ausgangssperre erfasst ist, da dieser Flur zur Unterkunft gehört, zumindest aber zum befriedeten Besitztum im Sinne von § 28b Abs. 1 Nr. 2 IfSG. Sowohl die Reduzierung der Kontakte auf Fluren eines Mehrfamilienhauses als auch diejenige in öffentlichen Verkehrsmitteln, die ja selbst Unterkunft sein können, sind also lediglich Nebenfolge der Ausgangssperre, diese Orte selbst aber nicht von der Ausgangssperre erfasst.

„Der Begriff ‚Wohnung‘ und der ‚Unterkunft‘ umfasst auch die ihr zugeordneten Bereiche, wie zum Beispiel die Terrasse, den Balkon sowie den Garten(-anteil) und beschränkt sich nicht auf die eigene Wohnung.

Dadurch ist klargestellt, dass es sich bei den Regelungen um ein Verbot des Aufenthalts im öffentlichen Raum handelt, dabei jedoch der Aufenthalt nicht zwingend in der eigenen Wohnung erfolgen muss“, wie es in der Begründung zur 7. Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO) vom 27. März 2021 im Land Baden-Württemberg heißt. Damit wird auch klar, dass jemand, der in einem Mehrfamilienhaus wohnt und vom vierten Stock zu seinem Garten(-anteil) gelangen möchte, zumindest in Baden-Württemberg selbstverständlich auch während der Ausgangssperre das Treppenhaus nutzen darf und sich nicht abseilen muss, wie es nach der Meinung des Wissenschaftlichen Dienstes erforderlich wäre.

Auf die Nachfrage beim Bundestag, wer das Kurzgutachten beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages beauftragt hat und wer genau dieses Kurzgutachten geschrieben hat, heißt es seitens des stellvertretenden Pressesprechers des Bundestages, Frank Bergmann, schlicht: „Die Namen des oder der beauftragenden Abgeordneten sowie die der bearbeitenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden u. a. aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht veröffentlicht.“

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Bundes-Notbremse unverhältnismäßig?

Alles in allem ist fraglich, ob das neue Infektionsschutzgesetz in puncto Ausgangssperre schon die Verhältnismäßigkeitsprüfung beim zweiten Prüfungspunkt „Geeignetheit“ nicht besteht, da das Gesetz schlechthin ungeeignet sein könnte, sein Ziel zu erreichen, nämlich für eine bundesweite Vereinheitlichung der Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung der Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19) bei besonderem Infektionsgeschehen zu sorgen, wenn sich schon die Bundesministerien nicht einig sind, was das neue Gesetz genau umfasst und wenn es am Ende auf Bahnhöfen der Deutschen Bahn vom Ermessen der Bundespolizei vor Ort abhängt, was vom Nachtreisenden erwartet wird. Aus der Sicht des Bürgers ist dies ein reiner Willkürakt, mitten in der Nacht irgendwo in Deutschland auf einem Bahnhof oder in einem Zug zu erfahren, ob er möglicherweise reisen darf oder nicht.

Auch Ministerien verschiedener Bundesländer positionieren sich zur Ausgangssperre unterschiedlich. Das Schleswig-Holsteinische Wirtschaftsministerium will Durchfahrten und Umstiege von Bahnreisenden immer auch unter dem neuen Infektionsschutzgesetz erlaubt wissen, wie es bei LN-Online.de heißt. Das Baden-Württembergische Ministerium für Soziales und Integration will das genaue Gegenteil, solange keine triftigen Gründe vorliegen, wie das Ministerium gegenüber tal-mi-or erklärt hat.

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