Künstliche Intelligenz kann Internetzensur in China umgehen

Chinesische Mauer bei Peking
Die Chinesische Mauer in der Nähe von Peking
[Fotograf: unbekannt, Quelle: Bundesarchiv/ Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de]
Robert Züblin – 14.11.2019, 23:59 Uhr

Mit Hilfe einer von Forschern entwickelten Künstlichen Intelligenz soll es möglich sein, unter anderem die Internetzensur in China zu umgehen.

KI entwickelt sich automatisch weiter

Wissenschaftler der University of Maryland hätten die neue Künstliche Intelligenz (KI) zur Umgehung von Internetzensur nach den Mechanismen der genetischen Evolution entwickelt, wie es auf der Website der Universität heißt. Die KI sei in der Lage, automatisch zu lernen, wie man die Zensur im Internet umgehen kann.

Getestet wurde das System mit dem Namen Genetic Evasion (Geneva) an der Internetzensur von China, Indien und Kasachstan. Geneva habe Dutzende von Möglichkeiten gefunden, wie man die Zensur umgehen könne. Die KI nutze dazu Lücken aus, die sich in der Logik der Zensoren auftun. Die dabei gefundenen Fehler seien für Menschen auf manuelle Art und Weise praktisch unmöglich zu finden, wie die Forscher meinen würden.

„Mit Geneva haben wir zum ersten Mal einen großen Vorsprung im Zensur-Rüstungswettlauf“, sagt Assistenzprofessor Dave Levin, einer der beteiligten Forscher am Geneva-Projekt. „Geneva ist der erste Schritt zu einem ganz neuen Wettrüsten, bei dem künstliche Intelligenzsysteme von Zensoren und Umgehern miteinander konkurrieren. Letztendlich bedeutet der Sieg in diesem Rennen, Millionen von Nutzern auf der ganzen Welt freie Meinungsäußerung und offene Kommunikation zu ermöglichen, Dinge, die sie derzeit nicht haben.“

Künstliche Intelligenz von Genetik inspiriert

Wenn Informationen über das Internet versendet würden, geschehe das durch Datenpakete, wie es auf der Website der University of Maryland heißt. Bestimmte autoritäre Regime würden zur Internet-Zensur häufig diejenigen Datenpakete überwachen, die im Rahmen einer Internetsuche gesendet würden.

Ein Zensor würde dann Anfragen blockieren, die bestimmten Schlüsselwörtern entsprechen würden wie etwa im Falle Chinas der Begriff „Tian’anmen-Platz“ oder aber verbotene Domain-Namen beinhalteten. So würden die Zensoren in vielen Ländern versuchen, den Zugriff auf die Domain von „Wikipedia“ zu blockieren.

„Wenn Geneva auf einem Computer läuft, der Webanfragen über einen Zensor versendet, verändert Geneva, wie Daten aufgeschlüsselt und versendet werden, so dass der Zensor verbotene Inhalte nicht erkennt oder die Verbindung nicht zensieren kann“, schreibt die University of Maryland.

Wie der Name Geneva (Genetic Evasion) schon sagt, ist der künstlich intelligente Algorithmus der Funktionsweise genetischer Mechanismen nachempfunden. Dazu erklärt die Universität: „Wie biologische Systeme bildet Geneva Befehle aus genetischen Bausteinen. Aber anstatt DNA als Bausteine zu verwenden, verwendet Geneva kleine Stücke von Code. Einzeln tun die Code-Stückchen sehr wenig, aber wenn sie in Befehlen zusammengefasst sind, können sie ausgeklügelte Ausweichstrategien zum Aufschlüsseln, Ordnen oder Versenden von Datenpaketen durchführen.“

Mit der Zeit entwickelt Geneva seinen genetischen Code. Mit jeder Generation behalte der Algorithmus nur die am besten funktionierenden Befehle. Der Rest würde weggeworfen. Außerdem mutiere Geneva, wie man es von der Genetik her kennen würde. Dies geschehe dadurch, dass Befehle zufällig entfernt oder hinzugefügt würden. Auch Kombinationen von erfolgreichen Befehlen würden von der KI getestet.

„Dies kehrt die Art und Weise völlig um, wie Forscher typischerweise mit dem Problem der Zensur umgehen“, sagt Levin. „Normalerweise identifizieren wir, wie eine Zensurstrategie funktioniert und entwickeln dann Strategien, um ihr zu entgehen. Aber jetzt lassen wir Geneva herausfinden, wie man sich dem Zensor entzieht, und dann erfahren wir, welche Zensurstrategien angewendet werden, wenn wir sehen, wie Geneva sie besiegt hat.“

Das Ziel: Geneva serverseitig einsetzen

Die Forscher hätten Geneva unter anderem auf einem Computer in China getestet und hätten dazu einen unveränderten Google-Chrome-Browser genutzt. Dank der von Geneva entwickelten Strategien hätte der Nutzer ohne Internetzensur in Bezug auf Suchbegriffe surfen können.

Aber auch in Indien habe Geneva die Zensoren überlisten können; blockierte URLs sollen kein Problem für die Künstliche Intelligenz gewesen sein. In Kasachstan, wo Social-Media-Seiten überwacht worden sein sollen, sei Geneva der Zensur ebenfalls entkommen.

Ein Hindernis für Geneva sei im Moment, dass man es auf einem Computer installieren müsse, was für bestimmte Personen insbesondere in autokratischen Staaten heikel sein könnte. Um das Problem mit der Angst vor dem Entdecktwerden einer Installation auf dem eigenen Computer zu lösen, würden die Wissenschaftler untersuchen, wie man Geneva auf demjenigen Computer zum Einsatz bringen könnte, auf dem die blockierten Inhalte liegen, also den Servern.

Sollte es gelingen, Geneva serverseitig zu nutzen, könnte zum Beispiel Wikipedia auch in Ländern wie China erreichbar sein, das die Website derzeit blockiert. Der jeweilige Internetnutzer müsste bei der Lösung über den Server nichts weiteres an seinem eigenen Computer (sogenannter Client) verändern.

„Wenn Geneva auf der Serverseite eingesetzt werden kann und so gut funktioniert wie auf der Client-Seite, dann könnte es möglicherweise die Kommunikation für Millionen von Menschen öffnen“, sagt Levin. „Das ist eine erstaunliche Möglichkeit, und es ist eine Entwicklung, die wir anstreben.“

Staatliche Massenüberwachung Künstliche Intelligenz