Robert Züblin | 04.07.2021 | 09:57 Uhr |
Wissenschaftler haben eine Beweiskette aufgestellt, wonach das Sichtotstellen (Thanatose) die evolutionäre Grundlage von Nahtoderfahrungen ist und der biologische Zweck in beiden Fällen das Überleben ist.
Universalität von Nahtoderfahrungen
Ausgangspunkt der Untersuchung von Nahtoderfahrungen durch die Wissenschaftler war die Überlegung, dass Nahtoderfahrungen aus allen Teilen der Welt bekannt sind, und zwar zu unterschiedlichen Zeiten sowie aus verschiedenen Kulturen berichtet wurden und werden. Aufgrund dieser Universalität des Ereignisses Nahtoderfahrung hätte ein biologischer Ursprung nahegelegen.
„Unter Einhaltung eines vorgegebenen Protokolls untersuchten wir die Hypothese, dass Thanatose der evolutionäre Ursprung von Nahtoderfahrungen ist“, sagt Daniel Kondziella, einer der Studienautoren. „Als Überlebensstrategie ist Thanatose wahrscheinlich so alt wie die Kampf-oder-Flucht-Reaktion.“
Charlotte Martial, die ebenfalls an der Studie beteiligt war, sagt: „Wir zeigen zunächst, dass Thanatose eine hochgradig erhaltene Überlebensstrategie ist, die an allen wichtigen Knotenpunkten in einem Kladogramm vorkommt, das von Insekten über Fische, Reptilien, Vögel und Säugetiere bis hin zum Menschen reicht. Wir zeigen dann, dass Menschen, die von großen Tieren wie Löwen oder Grizzlybären, menschlichen Angreifern wie Sexualstraftätern und ‚modernen‘ Angreifern wie Autos bei Verkehrsunfällen angegriffen werden, sowohl Thanatose als auch Nahtoderfahrungen erleben können. Außerdem zeigen wir, dass sich die Phänomenologie und die Auswirkungen von Thanatose und Nahtoderfahrungen überschneiden.“
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Sprache als Ursache von Nahtoderfahrungen
„In dieser Arbeit bauen wir eine Beweislinie auf, die nahelegt, dass Thanatose die evolutionäre Grundlage von Nahtoderfahrungen ist und dass ihr gemeinsamer biologischer Zweck der Überlebensvorteil ist,“ sagt Steven Laureys, ein weiterer Studienautor.
Die eigentliche Ursache für Nahtoderfahrungen beim Menschen ist aber laut der Forscher der Erwerb der Sprache. Denn diese hätte beim Menschen dazu geführt, dass sich das relativ einseitige Sichtotstellen, das bei Raubtierangriffen als Überlebensstrategie diente, in reichhaltige Wahrnehmungen umwandelte, die als Nahtoderfahrungen beschrieben werden und die auch in nicht-raubtierhaften Situationen auftreten.
„Bemerkenswert ist, dass die vermuteten Mechanismen im Gehirn, die hinter dem Sichtotstellen stehen, denen nicht unähnlich sind, die vermutet wurden, um Nahtoderfahrungen auszulösen, einschließlich der Durchbrechung des Rapid-Eye-Movement-Schlafs in den Wachzustand“, erklärt Daniel Kondziella. „Dies stärkt die Annahme, dass evolutionäre Mechanismen eine wichtige Erkenntnis sind, die benötigt wird, um einen vollständigen biologischen Rahmen für Nahtoderfahrungen zu entwickeln.“
Die Nahtod-Studie wurde in der Fachzeitschrift „Brain Communications“ veröffentlicht.