Robert Züblin | 20.03.2020 | 08:52 Uhr |
Die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi) sagt, dass eine Eindämmung des neuartigen Coronavirus noch möglich sei und widerspricht damit dem Präsidenten des Robert Koch-Instituts (RKI), der sagt, man könne die Ausbreitung des Virus nur verlangsamen.
70 % Infizierte nicht selbstverständlich
Bundeskanzlerin Angela Merkel sagte in der letzten Woche: „60 bis 70 Prozent der Menschen in Deutschland werden sich mit dem Coronavirus infizieren.“
Nun hat die Deutsche Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi) erklärt, dass dies keine Zahl ist, die automatisch erreicht wird. Im Gegenteil: Man könne diese Zahl durchaus senken.
„Stellt man sich ein Szenario vor, in dem KEINE spezifischen Kontrollmaßnahmen durchgeführt werden und keine spontanen Verhaltensänderungen stattfinden, würden sich unter der Annahme, dass alle Personen nach einer Infektion einen Immunschutz ausbilden im Verlauf des Ausbruchs etwa 50 – 70 % der Bevölkerung, anfangs mit exponentiell steigender Geschwindigkeit, infizieren. Würde die Epidemie ungehindert nach diesem Szenario ablaufen, läge der Höhepunkt des Ausbruchs (maximale Zahl infizierter Personen) bereits im Sommer 2020 […]“, heißt es seitens der Deutschen Gesellschaft für Epidemiologie (DGEpi).
„Die große Gefahr eines ungehinderten Ausbruchverlaufs besteht darin, dass in einem kurzen Zeitraum eine sehr große Zahl an Patienten eine Behandlung auf Intensivstationen benötigen würde und das Gesundheitssystem hiervon sehr schnell überfordert wäre“, sagt die DGEpi. Es gebe in Deutschland circa 30.000 Plätze für eine Intensivbehandlung, allerdings würde die Mehrheit dieser intensivmedizinischen Betten bereits durch Patienten belegt sein, die nicht an COVID-19 erkrankt seien.
Die DGEpi hat nun im Rahmen einer Modellrechnung festgestellt, dass das Gesundheitssystem zusammenbrechen würde, wenn man das Ausbreitungsgeschehen nur mäßig verlangsamen würde.
„Erst eine Senkung der effektiven Reproduktionszahl [Zahl der Ansteckungen durch einen Infizierten] in den Bereich von 1 bis 1,2 würde einen Verlauf innerhalb der vorhandenen Kapazitäten des Gesundheitssystems ermöglichen. Eine Steuerung der Ausbreitungsgeschwindigkeit in diesen engen Bereich scheint praktisch nicht vorstellbar, weil schon eine geringe Erhöhung der Reproduktionszahl zu einer Überforderung des Gesundheitssystems führen würde“, warnt die DGEpi.
RKI: Verlangsamung statt Eindämmung
Es gebe aber noch einen andere Möglichkeit, schreibt die DGEpi, um die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus zu bekämpfen:
„Eine andere mögliche Strategie wäre es, die effektive Reproduktionszahl unter 1 zu senken und dadurch eine Eindämmung der Epidemie zu erreichen. Die entscheidende Maßnahme ist hierbei, neben den schon etablierten Infektionskontrollstrategien (z.B. Senkung der Übertragungswahrscheinlichkeit durch konsequente Händehygiene, Isolation von infizierten Personen, Quarantäne von Kontaktpersonen) auch in der gesamten Bevölkerung eine Einschränkung der sozialen Kontakte auf das Notwendigste zu erreichen. Sollte es so gelingen, hierdurch die Infektionsausbreitung in Deutschland einzudämmen bis es keine neuen Fälle gibt, müsste weiterhin einem erneuten Einschleppen der Infektion vorgebeugt werden, bzw. auftretende Einzelfälle müssten durch eine breit angelegte Teststrategie schnell identifiziert und isoliert werden.“
Der Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI) hatte in der RKI-Pressekonferenz am 17. März 2020 gesagt, man könne die Ausbreitung des neuartigen Coronavirus nicht eindämmen, sondern diese nur verlangsamen. Auch am 13. März 2020 sagte Wieler, „dass es nicht möglich ist, diese Krankheit aufzuhalten, sondern wir müssen sie verlangsamen“.
Dem widerspricht die DGEpi: „Aktuell liegt ein kurzes Zeitfenster vor, in dem die Entscheidung zwischen Eindämmung und Verlangsamung der Infektionsausbreitung noch ohne Überlastung des Gesundheitssystems erfolgen kann. In beiden Fällen ist eine konsequente Umsetzung für einen längeren Zeitraum notwendig.“
Die DGEpi sagt außerdem, dass es nötig sei, überall in Deutschland vorsorglich ausbreitungslimitierende Maßnahmen zu treffen.