Robert Züblin | 22.02.2020 | 18:39 Uhr |
Wissenschaftler haben in einer Modellrechnung eine Sterblichkeitsrate im Zusammenhang mit COVID-19 in Höhe von circa 7 Prozent für China errechnet, was ungefähr der damaligen Sterblichkeitsrate bei SARS in diesem Land entspricht.
Die WHO hebt hingegen Studien hervor, in denen die Sterblichkeit anhand der geschätzten Infektionen (IFR) und nicht der bestätigten Fälle (CFR) ermittelt wird. Damit sinkt die Sterblichkeitsrate in den Studien massiv auf 0,3 bis 1 Prozent.
Die IFR-Zählweise kann die Menschen jedoch in falscher Sicherheit wiegen; insbesondere, da in den Medien oft nur die bestätigten Fälle bekannt gegeben werden und nicht die geschätzten Infektionen, die weit darüber liegen.
WHO präsentiert Infektions-Todesfall-Rate
Laut WHO würde das Chinesische Zentrum für die Kontrolle und Prävention von Krankheiten (Chinese Center for Disease Control), eine Regierungsbehörde in China, von einer Sterblichkeitsrate (case fatality ratio, CFR, auf Deutsch: Fall-Todesfall-Rate) ausgehen, die bei 2,3 Prozent liegen würde. Diese Rate würde sich anhand von 1023 Todesfällen ergeben, die in 44 415 Fällen zu beklagen gewesen seien, bei denen bis zum 11. Februar 2020 im Labor das neuartige Coronavirus bestätigt worden sei.
Allerdings würde dieser Rechnung nicht die gesamte Anzahl der Infizierten zu Grunde liegen. Leichtere Infektionen würden bei der bisherigen Erhebung nicht mitgezählt. Es würden weitgehend Patienten gezählt, die wegen einer Lungenentzündung in ein Krankenhaus müssten. Auf der anderen Seite sei bei kürzlich bestätigten Fällen noch nicht klar, wie schwer die Erkrankung am Ende sei und ob COVID-19 hier zum Tode führen werde.
„Außerhalb Chinas sind die CFR-Schätzungen unter den bestätigten Fällen niedriger als die aus China gemeldeten. Es ist jedoch noch zu früh, um Schlussfolgerungen in Bezug auf die Frage zu ziehen, ob sich die CFR innerhalb und außerhalb Chinas wirklich unterscheidet, da die endgültigen Ergebnisdaten (d.h. wer sich erholen und wer sterben wird) für die Mehrzahl der aus dem Ausland gemeldeten Fälle noch nicht bekannt sind“, heißt es bei der WHO.
Mit Hilfe einer Modellrechnung könnten bisher nicht erfasste Fälle in der Berechnung einer Infektions-Todesfall-Rate (infection fatality ratio, IFR) bei COVID-19 berücksichtigt werden, erklärt die WHO. Für die Berechnung der IFR würde die Gesamtzahl der Infektionen geschätzt. In einer solchen IFR würden also alle Infektionen berücksichtigt, sowohl die diagnostizierten als auch die undiagnostizierten Fälle, und dann der Anteil derjenigen Fälle ausgerechnet, die zum Tode führen.
„Auf der Grundlage dieser verfügbaren Analysen liegen die aktuellen IFR-Schätzungen zwischen 0,3 % und 1 %“, schreibt die WHO. Allerdings sei es ohne populationsbasierte serologische Studien nicht abschließend möglich zu sagen, wie hoch der tatsächliche Anteil der COVID-19-Infizierten in der Bevölkerung ist.
COVID-19-Sterblichkeit fast wie bei SARS
Im Rahmen einer neuen Studie haben Forscher nun eine Modellrechnung angestellt, mit der die tatsächliche CFR geschätzt werden solle. Mit den gegenwärtig offiziell publizierten Zahlen erhält man ein falsches Bild.
In der Studie, die auf der Medizin-Archiv-Webseite “medRxiv” veröffentlicht wurde und die noch kein Peer-Review-Verfahren durchlaufen hat, rechnen die Autoren zunächst anhand der Daten der Nationalen Kommission für Gesundheit und Medizin (National Health and Medical Commission) vor, dass die Sterblichkeitsrate bei bestätigten Fällen 2,51 % betragen würde. (Stand 16. Februar 2020) Insgesamt seien bis zu dem genannten Datum 70.548 SARS-CoV-2-Fälle bestätigt worden, von denen 1770 Menschen gestorben seien. Allerdings sagen die Forscher, wie schon die WHO, dass es sich bei einer mit den aktuell offiziellen Zahlen errechneten CFR nicht um die tatsächliche Sterblichkeitsrate handele.
Wenn man die Toten (1770) und die bis zum 16. Februar 2020 geheilten Fälle (10.844) in Beziehung setzt, kommt man auf eine Heilungsrate in Höhe von 85,97 % und eine Sterblichkeitsrate (CFR) in Höhe von 14,03 %. Allerdings sei das auch keine ausreichend hilfreiche Information.
Um eine realistische CFR zu schätzen, hätten die Wissenschaftler daher eine Methode entwickelt, um die geheilten Fälle zu errechnen sowie die korrespondierende Sterblichkeitsrate. Da man am 12. Februar 2020 die Zählweise der Fälle in China geändert habe, seien in der Studie nur Daten bis zum 11. Februar 2020 berücksichtigt worden.
„[W]enn später keine spezifischen Medikamente und bessere Behandlungen auftauchen und sich die Pathogenität von NOVID-19 nicht signifikant unterscheidet, beträgt die CR [cure rate, auf Deutsch: Heilungsrate] der neuen Koronarpneumonie etwa 93 %, während ihre CFR etwa 7 % beträgt, was der CFR von SARS (6,6 %) auf dem chinesischen Festland relativ nahe kommt“, heißt es in der Studie.
Spielt die WHO die Gefahr herunter?
Während der SARS-Pandemie, die im November 2002 begann und im Juli 2003 endete, war die WHO im April 2003 von einer Sterblichkeit bei SARS in Höhe von ungefähr 4 Prozent ausgegangen, und da gab es bereits 3196 Fälle und 144 Tote. Am Ende der Pandemie, nach 8090 Infizierten und 774 Toten, lag die Sterblichkeitsrate (CFR) bei 9,6 Prozent (alle Länder inbegriffen). Die WHO hatte sich also mitten im Geschehen um mehr als die Hälfte verschätzt und damit ein falsches Bild von der Gefahr erzeugt, die von der Pandemie ausging.
Dass die WHO nun ein so großes Augenmerk auf die IFR legt, also die Infektionen-Todesfall-Rate, lenkt vom eigentlichen Problem ab. Denn bei der IFR werden auch die unzähligen Fälle mit eingerechnet, die zwar infiziert sind, aber nur milde oder gar keine Symptome haben. Ohne Symptomatik kann man aber nur schwerlich von einer COVID-19-Erkrankung sprechen, die das eigentliche Problem am SARS-CoV-2-Virus ist.