Milch und Fleisch schuld an Darmkrebs? »BMMF-Erreger erhöhen Krebsrisiko

Von Robert Züblin, 03.03.2019, 19:42 Uhr
 

Erreger in Kuhmilch und Rindfleisch könnten Menschen infizieren und für Darmkrebs – eventuell auch Brustkrebs – verantwortlich sein.

Der sogenannte BMMF-Erreger, der sich in Rindfleisch und Kuhmilch findet, soll das Risiko für Darmkrebs erhöhen.

Eine Milchkuh auf der Weide
[Foto: Robert Züblin]

Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) teilt mit, dass Wissenschaftler einen Zusammenhang zwischen Neuerkrankungen mit Darm- und Brustkrebs und dem Konsum von Milch- und Fleischprodukten, die vom europäischen Rind (Bos taurus) stammen würden, festgestellt hätten.

 
Mit Bos taurus wird das europäische Hausrind bezeichnet. Es handelt sich dabei um eine domestizierte Form des Urochsen. Zu den Hausrindern gehören unter anderem die Rassen: Holstein-Friesian, Braunvieh und Fleckvieh.
 

Beziehung von Krebs und Fleischkonsum

Als Indizien dafür, dass die Neuerkrankungsraten bei Darm- und Brustkrebs mit dem Verzehr von Kuhmilch, Rindfleisch und den Produkten daraus zusammenhingen, würden die Wissenschaftler um Prof. Dr. Harald zur Hausen unter anderem Folgendes aufführen:

  • Es gäbe hohe Darmkrebsraten in Weltregionen, in denen viel Milch- und Rindfleischprodukte konsumiert würden. Dazu zählten Nordamerika, Argentinien, Europa und Australien.
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  • Weltweit bestünde eine „erhebliche Übereinstimmung der Neuerkrankungsraten zwischen Brust- und Darmkrebs, insbesondere, was die Hochrisiko-Regionen betrifft (Nordamerika, Argentinien, Europa, Australien), aber auch bei den Ländern mit besonders niedrigen Risiken wie Mongolei, Bolivien und Indien“.
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  • In Indien seien die Darm- und Brustkrebs-Raten sehr niedrig. Nur in den indischen Bundesstaaten, wo Milchkühe zur Sicherstellung der Versorgung der Kinder eingeführt worden seien, würden die Brustkrebs-Neuerkrankungsraten steigen.
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  • In Bolivien seien die Darm- und Brustkrebsraten niedrig. Dort würde man in erster Linie Zebus (Bos indicus) halten.
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  • In der Mongolei gäbe es „bemerkenswert niedrige Darmkrebs- (und Brustkrebs-)Neuerkrankungsraten“, obwohl der Verzehr von Rinderprodukten dort sehr hoch sei. Allerdings würden die Rinder in der Mongolei hauptsächlich von Kreuzungen mit importierten Zebus abstammen.
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  • In Japan könne man circa 20 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges und in Korea nach dem Ende des Korea-Krieges einen „steilen Anstieg der vormals extrem niedrigen Darmkrebs-Inzidenz“ feststellen. Dies stünde im Zusammenhang mit dem Anstieg von Fleischimporten sowie der Fleisch-Produktion.

Außerdem weist das DKFZ drauf hin, dass die Brustkrebsraten bei laktoseintoleranten Menschen sehr niedrig seien.

»BMMF ist eine neue Art von Erreger

Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Infektion mit dem Erreger im frühen Säuglingsalter durch den Verzehr von Milchprodukten oder Rindfleisch oder beidem erfolgen würde. Das Problem: „Die Erreger induzieren in bestimmten Geweben (Darm, Brust) eine chronisch-entzündliche Reaktion, die im umgebenden Gewebe die Krebsentstehung fördern kann. Zum Ausbruch der Krankheit kommt es Jahrzehnte nach der Infektion!“, sagt das DKFZ.

Um den Erreger zu finden, hätten die Forscher das Blut von hunderten europäischer Milchkühe untersucht. Außerdem habe man etliche Proben von Milch und Milchprodukten, die man in Supermärkten gekauft hätte, geprüft. Daneben habe man auch hunderte Blutproben sowohl von gesunden Menschen als auch von Patienten mit Darmkrebs analysiert.

Um welche Art von Erreger es sich handeln würde, sei bislang nicht bekannt. Die Forscher gingen davon aus, dass man es mit einer neuen Klasse von Erregern zu tun habe, die mit ihren Eigenschaften zwischen den Viren und Bakterien liegen würden. Wegen ihrer Nähe zu Plasmiden werden sie auch als „Plasmidome“ bezeichnet, beziehungsweise „Bovine Meat and Milk Factors“ (BMMF), weil sie in Kuhmilch und Rindfleisch gefunden wurden.

Der Grund, warum die Wissenschaftler davon ausgingen, dass sich der Mensch als Säugling mit dem Erreger infiziere, wenn er Kuhmilch als Ernährung erhalte, ist der, dass das Immunsystem erst ungefähr nach dem ersten Lebensjahr ausgereift sei. Danach sei der Mensch besser gegen den Erreger geschützt, allerdings seien Erwachsene, so das DKFZ, vermutlich alle mit dem BMMF-Erreger infiziert.

Mögliche Folgen einer BMMF-Infektion

Die Forscher hätten „in den durch BMMFs infizierten Gewebebereichen […] erhöhte Spiegel reaktiver Sauerstoffverbindungen nachgewiesen“. Dies sei ein „typisches Merkmal für Entzündungen“. Die gefundenen Sauerstoffradikale würden die Entstehung von Erbgutveränderungen begünstigen. „Je mehr Mutationen zusammenkommen, desto
höher das Risiko, dass auch Gene getroffen werden, deren Defekt das Zellwachstum außer Kontrolle geraten lässt“, sagt das DKFZ.

Man könne die BMMFs also als indirekte Karzinogene betrachten. Schon länger würde diskutiert, ob chronische Entzündungsreaktionen die Ursache von Darmkrebs seien – zum Beispiel „als Basis für die Entstehung von alkoholbedingtem Magen- und Darmkrebs“.

Zwar sei der Anteil der BMMF-Infektionen, die im Zusammenhang mit dem Darmkrebsrisiko stünden, hoch. Allerdings sei eher nicht davon auszugehen, dass jede BMMF-Infektion auch zu Darmkrebs führe. Derzeit werde geprüft, ob es einen Zusammenhang zwischen der Menge an BMMF-Proteinen und dem Überleben von Patienten gäbe. Sollte dies der Fall sein, „wäre
Personen mit hohem BMMF-Level anzuraten, die Angebote zur Darmkrebsfrüherkennung besonders sorgfältig wahrzunehmen“, sagt das DKFZ.

Prävention vor BMMF-Infektion

Das DKFZ rät, dass man „Säuglinge keinesfalls früh mit Kuhmilchprodukten füttern“ sollte. Erst wenn das Baby 12 Monate alt sei, sei es „wahrscheinlich immunkompetent“ und könne „viele Erreger abwehren“.

Das DKFZ sagt: „Bekannt ist, dass langes Stillen (über 6 Monate hinaus) Säuglinge vor der Infektion mit einer ganzen Reihe von Erregern schützen kann (Noroviren, Rotaviren, HIV). Ursache dafür sind bestimmte Zuckerverbindungen in der Muttermilch, die verhindern, dass die Erreger an die Rezeptoren der Zelloberfläche andocken, über die sie normalerweise ins Zellinnere gelangen. […] Diese Verbindungen sind in der Milch anderer Tierarten nicht vorhanden. Bereits heute werden diese Zucker teilweise Milchpulvern für die Babynahrung zugesetzt. Es ist möglich, dass diese Verbindungen auch die Infektion mit BMMFs verhindern.“

Möglicherweise, so das DKFZ, könnte die Mutter durch das Stillen auch selbst vor einer Infektion mit den BMMF-Erregern geschützt werden. „Da das Brustgewebe im Kontakt mit den schützenden Zuckerverbindungen ist, kann man dies vermuten. Zahlreiche Studien aus den USA zeigen, dass mit jedem zusätzlichen Monat des Stillens das Brustkrebsrisiko der Mutter sinkt. Untersuchungen zur Inzidenz von Darm- und Lungenkrebs bei Frauen, die viele Kinder zur Welt gebracht haben, legen auch hier einen protektiven Effekt nahe“, führt das DKFZ aus.

Als Präventivmaßnahme sei auch an Impfungen zu denken, sowohl bei den Rindern als auch bei menschlichen Babys. Hier würden noch Prüfungen laufen.