Mit veganem Fleischersatz: »Vorstellung von Männlichkeit wahren

Von Robert Züblin, 06.01.2019, 15:06 Uhr
 

Veganer Fleischersatz symbolisiert Männlichkeit, wodurch sich Männer in der digitalen Gesellschaft von Frauen abgrenzen – sagen Forscher.

Veganer Fleischersatz oder auch vegane Fleischalternativen sind im Trend. Die Fleischindustrie hat das längst erkannt. Möglichst viele Proteine sollten auch enthalten sein.

Futter-Getreide-Menge für 1 kg Schweinefleisch
[Foto: Heinz Koch, Quelle: Bundesarchiv/ Wikimedia Commons, Lizenz: CC BY-SA 3.0 de]

 

Es gibt so tolle vegane Rezepte, durch die das Fleischessen schnell in Vergessenheit geraten könnte und trotzdem jagen viele Veganer einem möglichst perfekten Fleischersatz hinterher.

Ob veganer Burger oder veganes Schnitzel, häufig wird versucht, den Geschmack und das Aussehen des Originals zu imitieren – der Anteil an Proteinen sollte auch groß sein.

Unter veganer Ernährung versteht man eine Ernährungsweise, bei der auf tierische Produkte gänzlich verzichtet wird. Weder Fleisch noch Eier oder Milch von Tieren sind hier erlaubt; selbst Honig ist nicht vegan, da zu seiner Herstellung Bienen nötig sind.
 

Vom Nahrungsmangel zum Maßhalten

Veganismus ist im Trend. Inwiefern bei der veganen Ernährungsweise alte Geschlechts-Stereotypen übernommen werden, haben Forscher von der Technischen Universität Darmstadt untersucht.

Prof. Tanja Paulitz, die am Forschungsprojekt beteiligt war, sieht einen Grund für den Vegan-Boom auch im Leistungs-Abbau innerhalb des Gesundheitssystems. Durch den zunehmenden Wegfall der wohlfahrtsstaatlichen Sicherung im Gesundheitsbereich sei die Auswahl gesunder Lebensmittel gesellschaftlich wichtiger geworden.

„Früher war Ernährung überwiegend ein Mangelthema: Wie kann ich satt werden? Gibt es genug? Was gibt es überhaupt? Das wird seit Ende des 20. Jahrhunderts für eine größere Breite der Gesellschaft zu einer Frage des Maßhaltens und richtigen Auswahl“, sagt Prof. Paulitz im Interview mit der Zeitschrift hoch³ FORSCHEN.

Auch die Fleischindustrie sei längst auf den Vegan-Zug aufgesprungen und hätte das gewinnbringende Potential von Fleischersatzprodukten erkannt.

Fleisch für den Muskelaufbau

Dass künstliches Fleisch einen so großen Stellenwert in der veganen Community einnimmt, erklären die Wissenschaftler gegenüber hoch³ FORSCHEN damit, dass sich das alte Stereotyp, Muskeln würden den männlichen Körper entscheidend definieren, auch unter Anhängern der Veggie-Kultur halte. Im Grunde stammten die dahinter stehenden Grundannahmen aus den Anfängen der Industrialisierung, als davon ausgegangen worden sei, dass Fleisch für den Muskelaufbau verantwortlich sei und insbesondere für Männer wichtig gewesen sei, weil diese in den Fabriken schwerere Arbeiten durchzuführen gehabt hätten als Frauen.

Eigentlich mache es aber keinen Sinn, dass im digitalen Zeitalter noch immer auf die stärkende Rolle von Fleisch geachtet wird, da nicht besonders viel Muskelmasse für die Arbeit am Computer nötig sei. Trotzdem seien in der Veggie-Szene Fleischersatzprodukte mit viel Protein begehrt; ihnen würde eine „vergleichbar stärkende Wirkung wie Fleisch zugeschrieben“, sagt der an dem Forschungsprojekt beteiligte Martin Winter zu hoch³ FORSCHEN. Auf der kulturellen Ebene sei es wichtig, dass die Vorstellung von Männlichkeit, die an den Konsum von Fleisch gekoppelt sei, gewahrt werden könne.

Und warum ist die Wahrung der Männlichkeit so wichtig? „Die Ausbildung bestimmter Mengen und Formen an Muskeln an den ‚richtigen‘ Stellen sichert gesellschaftlich die Differenzierung gegenüber Weiblichkeit ab. Dies ist bedeutsam, da genau diese Differenzierung ja nicht mehr wie früher institutionell und formal erfolgt, sondern die Partizipation von Frauen in der Gesellschaft unübersehbar ist“, sagt Prof. Tanja Paulitz im hoch³-FORSCHEN-Interview und stellt am Ende die Frage, ob der Veganismus womöglich längst „überholte Geschlechterverhältnisse“ zementiert.

In dem Forschungs-Projekt „Ernährungskulturen und Geschlecht“ hat das Forschungsteam unter anderem vegane Kochbücher analysiert und Feldstudien bei Fachmessen unternommen. Außerdem wurden Interviews mit Vertretern von NGOs und Ernährungs-Experten geführt.